
100 Jahre Bauhaus Dessau: Das müsst ihr zum Jubiläum wissen
Im Jahr 1925 übersiedelte das Bauhaus aus dem konservativen thüringischen Weimar nach Dessau, die aufstrebende Stadt im Osten des damaligen Freistaates Anhalt. Ende 1926 bezogen die Studierenden mit ihren Meistern das am Stadtrand neu errichtete Bauhausgebäude. Zwei Daten, die mit einem Jubiläum gefeiert werden: „An die Substanz. Bauhaus Dessau 100!“
Die Zeiten des grellen, auch bewusst provozierenden Studententrubels sind Geschichte. Heute bevölkern Besucher jenes Gebäude, das als das gebaute Manifest der Bauhaus-Ideen gilt. Das sind vor allem Touristen aus aller Welt, die Mitarbeitenden der Stiftung Bauhaus Dessau, auch ein paar Studierende der Hochschule Anhalt und Design-Experten auf Pilgerreise.
Der Atem des Aufbruchs blieb
Dennoch weht der Atem jenes Aufbruchs vor einhundert Jahren durch die Räume des Hauses, das der Architekt Walter Gropius für den neuen Standort, der von ihm 1919 in Weimar gegründeten Ausbildungsstätte entwarf. Nach der Fertigstellung im Dezember 2026 zog Leben ein. Leben der besonderen Art. Ausbilden hieß hier immer auch Ausbrechen: aus verschnörkeltem kaiserzeitlichem Stil-Erbe, aus der Geringschätzung von Industrie-Anmutung, aus handwerklichem und akademischem Korsett – Think Tank würde man heute dazu sagen.

Das Bauhausgebäude ist Ausstellungsstück und Ausstellungsort, Veranstaltungsraum und Veranstaltungsthema gleichermaßen. Es ist kein Museum und doch kann man es besichtigen. Zu sehen gibt es vieles, was inzwischen längst Alltag ist, aber damals revolutionär war: Einbauschränke als Raumteiler, Säulen aus Eisenbeton und Fußböden aus Steinholzestrich, Leuchten mit sichtbaren Lampen, Möbel ohne Ornamente, farblich intensive Wand-Anstriche…
Die Ideen im Detail entdecken
Wer Bedenken hat, er könne schwer Zugang finden zu solch einer Gestaltung, der schließe sich einer Führung durch das Gebäude an, welche die Stiftung Bauhaus Dessau anbietet. Beim Spazieren durch die Räume, Treppenhäuser und Korridore ist vieles über die berühmteste deutsche Kunst- und Designeinrichtung der Klassischen Moderne zu hören und zu sehen. Auch an diesem Vormittag zieht ein Trüppchen durch das berühmte Haus, das seit 1996 zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört.

So manche raffinierte, bauhaus-typische Lösung würde der Gast ohne die Hinweise des Guides vermutlich übersehen: den Heizkörper der Firma Junkers, der wie ein Kunstwerk auf Augenhöhe an der Wand hängt; die Kette mit deren Hilfe die riesigen Fenster aus Glas und Stahl mühelos geöffnet werden können; die halbrunde Wandvertiefung, in welcher der Türknauf verschwindet; der Lichteinfall, der die Blicke lenkt; die sich im Fensterglas spiegelnde Leuchten-Reihe, die draußen weiterzulaufen scheint…
Wo die Meister Nachbarn waren
Der zweite Teil des Rundganges führt zu den nahegelegenen Meisterhäusern: Weiße, wie ineinandergesteckt wirkende Kuben fügen sich zu einem Direktoren- und drei baugleichen Doppelhäusern. Auch dieses 1926 fertiggestellte Ensemble stammt aus der Feder von Gropius und gilt als Bauhaus-Stätte. Und also gibt es auch hier viel zu erfahren über Kunst und Alltag der Visionärinnen und Visionäre wie Walter Gropius, der natürlich das geräumige Direktorenhaus bewohnte und auch Lyonel Feininger bei sich wissen wollte, Anni Albers, Lucia Moholy, Lásló Moholy-Nagy, Oskar Schlemmer, Georg Muche, Gunta Stölzl und andere.

Das Direktorenhaus sowie die Haushälfte Moholy-Nagy wurden von einer Weltkriegs-Bombe zerstört und als weitestgehend hohler Körper wiedererrichtet, der dennoch Bauhaus-Ideen zitiert, beispielsweise bewusst gewählten Lichteinfall oder strukturierte Wände. Im Meisterhaus Muche/Schlemmer wohnen „Artist in Residence“-Gäste. Aber in einige der Gebäude, zum Beispiel jene wo Wassily Kandinsky und Paul Klee mit ihren Familien lebten, kann man hineingehen und sich umschauen, um unter anderem das Farbspiel der Wände oder gestalterische Raffinessen für den Haushalt zu betrachten.
Schon mit dem Gartenreich der Zeit voraus
Auch ein Spaziergang durch die Stadt lohnt sich. Der Weg zwischen Bauhausgebäude und Meisterhäusern führt an den „Sieben Säulen“ vorbei, einem Portal des Georgiums. Genaugenommen hat dieser Landschaftspark im englischen Stil nicht direkt mit dem Bauhaus zu tun. Aber indirekt schon. Gemeinsam mit dem Wörlitzer Park bildet dieser das UNESCO-Welterbe Gartenreich Dessau-Wörlitz, das als parkgewordene Aufklärung seiner Zeit weit voraus war.

Die siebenjährige Präsenz des Bauhauses, bevor es 1932 nach Berlin vertrieben und 1933 aufgelöst wurde, hinterließ der Stadt Dessau rund 300 Gebäude, die von Bauhäuslern entworfen oder zumindest von deren Idee beeinflusst waren: die Gaststätte „Kornhaus“ am Elbufer, das historische Arbeitsamt, das Stahlhaus, die Siedlung Törten… Und sie hinterließ jene Punkte, die ab Herbst im Video-Walk „Unsichtbares Bauhaus Dessau“ verbunden werden. Das sind Orte, die nicht mehr in originaler Form vorhanden sind, von denen es aber – per QR-Code abrufbar – spannende Geschichten zu erfahren gibt.
Einladung zum Begreifen



Einstieg oder Finale einer Tour durch die Welt des Bauhauses Dessau sollte ein Besuch im Bauhaus Museum sein, das 2019 im Zentrum der Stadt eröffnet wurde. Schon äußerlich erzählen dessen Glasfassaden, in denen sich Bäume des Stadtparks oder die Neo-Renaissance des gegenüberliegenden Postamtes spiegeln, die aber zugleich Einblicke ins Innere gewähren, von den Idealen des Bauhauses. Drinnen lassen rund 1.000 Exponate – nur ein Bruchteil der mit 50.000 Stücken zweitgrößten Bauhaus-Sammlung der Welt – den Alltag an der Schule aufleben.
Im Vordergrund stehen hier nicht die Design-Ikonen, sondern das künstlerische Experiment der Studierenden. Während sich manche Museumsbesucher in die Briefe, Skizzen, Fotos, Zeitungsartikel und technischen Zeichnungen vertiefen, lassen sich andere von den in Szene gesetzten Möbelstücken, Theaterfiguren oder Leuchten beeindrucken.

Wieder andere schlüpfen in die Rolle des Bauhaus-Studenten. Sie nehmen am Touchscreen Unterricht bei Kandinsky, indem sie mit Formen, Farben und Strukturen spielen. Oder halten Ausschau nach Exponaten mit der Aufforderung „Berühren“. Hier darf der Besucher Oberflächen erfühlen, Gewebe begreifen oder Konstruktionen ausprobieren. Eine Leuchte zum Beispiel, an der verschiebbare Schalen auch die Wirkung des Lichtes verschieben.
Und zu alledem, was dauerhaft in Dessau zu erleben ist, beginnt im März 2026 mit der Eröffnung von fünf zusätzlichen Ausstellungen das Jubiläum. In einem prall gefüllten Veranstaltungskalender folgen Feste, Konferenzen, künstlerische Aufführungen. Nicht zu vergessen das Bauhausfest im September 2025. Da blitzt er dann doch auf, der grelle, auch bewusst provozierende Studententrubel von vor 100 Jahren.
Autorin: Marlis Heinz, Fotos: Volkmar Heinz, IMG
Informationen:
Stiftung Bauhaus Dessau
Gropiusallee 38
06846 Dessau-Roßlau
service@bauhaus-dessau.de
Telefon: + 49 340 6508 – 250
www.bauhaus-dessau.de